October 3, 2010

wunden lecken I

 
Als ich gerade meine Mutter nach der deutschen Redewendung „Steine in den Weg legen“ fragte, kam ihre ganze Sorge zum Ausdruck. Bekümmert sagt sie
Ist das noch immer in Zusammenhang mit deiner Geschichte?
Wie erklärt man einer besorgten Mutter, dass diese, ihrem Gefühl nach unheilvolle, krankhafte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit einem Schicksalsschlag, in Tat und Wahrheit mehr als gesund ist? Vielleicht sogar der einzig mögliche Weg zur Genesung? Wie erkläre ich ihr, dass man mich derart ramponiert hat, dass ich mich praktisch von Grund auf wieder zusammensetzen musste? Dass ich meine Jugend wieder durchleben musste, ja praktisch mein ganzes Leben, um überhaupt eine Chance zu haben, mich irgendwann wieder finden zu können? Wie erkläre ich ihr, dass man mir auf eine so zerstörerische Art zugesetzt hat, dass ich wirklich kaum noch etwas hatte an das ich mich klammern konnte? Dass ich, um meine Gefühle in der Gegenwart verstehen zu können, meine Wunden aus längst vergangener Zeit lecken musste? Dass man mir nicht nur den Boden unter den Füssen wegnahm, sondern diesen Boden zusätzlich noch in Tausend Stücke zerbrach?

Bild: Gloria Bertorelli


Wunden zu lecken unterstützt sehr wohl deren Vernarbung und ganz allgemein die Genesung. Doch ich denke, ich werde es ihr nicht zu erklären versuchen. Sie wird sich dann freuen, wenn die Narben geheilt und es mir wieder besser gehen wird.

Marcy Lanfranco Orlandini: Searching
 
 

September 30, 2010

a transformed world

 
 

The moment you have in your heart
this extraordinary thing called love
and feel the depth, the delight,
the ecstasy of it,
you will discover that for you
the world is transformed.


Jiddu Krishnamurti



Bild: Gerhard Richter

 
 

September 29, 2010

einfach so

 
Musik hörend, zusammen Zeit verbringend, die Einen bei der Arbeit, die Anderen bei der Arbeit an sich selbst...
Come possiamo volare con le acquile
se siamo circondati da tacchini?
Zucchero

Bild: Gregory Colbert

Ich weiss nicht mehr ob es Italo (der Kunst-Psychiatrie-Pfleger) oder Max (der Bundespolizist) gewesen ist, mit dem ich diese Worte kommentierte... Doch: Es muss Max gewesen sein. Ich erinnere mich an den Tonfall. An den bei ihm so oft wichtigeren Teil seiner Worte: die nicht ausgesprochenen.

Ich sagte
Ist er nicht einfach genial, dieser Satz von Zucchero?
Und höchst wahrscheinlich meint er es gar nicht überheblich.
Er meint es...

... einfach so.
beendete Max den Satz mit einem Lächeln.

Damit war alles gesagt.
Oder eben...
Damit war ziemlich alles nicht gesagt.
Und dennoch irgendwie besprochen.

Anja Bührer: Silence Is Golden II
 
 

September 15, 2010

der Trick mit dem Affen

 
Ich habe einmal gehört, wie Menschen in einer bestimmten Wüstenregion der Erde zu Trinkwasser kommen: Die Einheimischen nehmen einen Baumstamm und bohren darin ein Loch, in das Loch stecken sie einen besonderen Leckerbissen und achten dabei darauf, dass ein bestimmtes Tier ihnen dabei zusieht. Der Affe sieht das, wird neugierig, möchte an da Leckerbissen gelangen, sobald kein Mensch mehr in der Nähe ist. Die Männer beobachten nun wiederum den Affen aus etwas Abstand und müssen dabei nur warten, bis die Falle zuschnappt. Das Loch hat nämlich einen ganz bestimmten Durchmesser, welcher dem Affen erlauben wird die offene Faust in das Loch zu stecken, doch nicht mehr die den Leckerbissen einschliessende Faust aus dem Loch ziehen zu können. Nun kann der Affe gefangen werden, denn er wird sich eher fangen lassen, als die Faust zu öffnen um die Freiheit zu gewinnen — Ein Impuls zwingt ihn dazu, den gewonnenen Leckerbissen auf keinen Fall mehr herzugeben.

Was die Männer nun machen ist einfach: Sie geben dem Affen Salz zum essen, und zwar in reichlichen Mengen. Wenn der Affen nach einer gewissen Zeit freigelassen wird, müssen sie ihm nur noch folgen, denn er wird schnur-stracks zu der nächsten Wasserstelle rennen, um seinen Heissdurst zu stillen.

Bild: Mahira Ates

So hat also der Mensch gelernt, dass wo Affen leben es auch Wasser-Vorkommen haben muss. Und er hat gelernt, den Affen auf einfachste und dennoch höchst effektiver Weise auszutricksen.

Und auf diese selbe Art und Weise dachten die Wahnärzte mich gefangen zu haben. Der Leckerbissen sollte die Junge Dame sein. Der Salz wären dann die Drogen gewesen. Und das Wasser die vorsätzlich falsche Diagnose, die sie nun zu offizialisieren können glaubten. Oder so...


Also habe ich sie zu ihrem Wasser geführt. Und sie haben gedacht, vor einem riesigen, unterirdischen Wasser-Resevoir zu stehen. Sie haben gedacht, alles sei wie am Schnürchen geloffen. Sie dachten schon zu haben, was sie wollten. Doch dann merkten sie plötzlich, es war gar kein Wasser... Dieser Affe, der war speziell: Auch er hatte nämlich einen Trick auf Lager, denn er führte die Wahnärzte nicht zu einem Wasser-Reservoir, nein... Es war ein Spiegel!

Bild: Mahira Ates



Denn die Ärzte hatten vergessen, dass die Natur ein kleines Wenig intelligenter sein kann, wenn es um Leben und Tod geht. Und hier ging es um Leben und Tod zweier Seelen. Oder um Leben und nicht Leben zweier Seelen. Um das Wohlergehen zweier Seelen.

Bild: Taras Loboda