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December 18, 2011

4. Advent des Protests

 
In Ägypten fühlen sich viele Menschen um ihre Revolution betrogen und gehen wieder auf die Strasse. Das Militär nennt diese Protestierenden nun aber "Anti-Revolutionäre"! Man könnte es fast lustig finden, wenn es nicht so tragisch wäre. Dies zeigt aber wie sich die Zeiten am ändern sind: Es wird immer schwieriger, den Leuten irgendwelchen Schwachsinn unterzujubeln! Und das ist gut so! Das Regieren mit Peitsche und Zuckerbrot, das Reformieren mit Augenwischerei werden schwieriger. Die Menschen verlangen von den Machthabern, dass sie Verantwortung übernehmen oder den Platz räumen. Für diese Forderung sind viele gestorben. Andere sterben noch heute, zum Beispiel in Syrien. Viele Menschen ohne Gesicht, ohne Geschichte, ohne Bemerkung. Und doch haben sie zusammen die Bemerkung der ganzen Welt bekommen.

Das Time Magazine hat "The Protester" als Person des Jahres 2011 gewählt: Eine Geste der Anerkennung für all die Namenslosen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben und immer noch setzten, um diese unsere und Gottes Welt auch nur ein wenig besser zu machen. Als Vorlage für das Cover-Bild diente das Photo einer jungen Frau, die sich an eine der vielen Aktionen und Ausschreitungen rund um den Arabischen Frühling beteiligte. Frauen haben eine mehr als wichtige und teils zentrale Rolle gespielt: In verschiedene Länder ist es erst die Beteiligung der ersten Frauen gewesen, die es möglich machte einen immer grösseren Teil der Bevölkerung in den Protest einzubinden. Frauen haben sich während den Kämpfen um die Verpflegung der Aufständigen gekümmert, sie haben ihre nächsten Lieben motiviert und ermutigt.


Time Magazine Cover with "The Protester"


Aber nicht nur die Protestierenden des arabischen Frühlings sind gemeint. Auch die der Occupy Bewegung, der 99%, der Castor-Transporte, der Atom-Energie, usw. Ja, auch die Demonstranten gegen das WTO Treffen in Seattle, im Jahre 1999, werden mit dem Cover vom Time geehrt: Die Vorgänger, sozusagen, der Occupy und der 99% Bewegungen.

Protests in Seattle on November 1999


Leider muss man fairerweise sagen, dass es Menschen gibt die seit Jahren protestieren und kämpfen und nicht wirklich grosse Erfolge zu verzeichnen haben. Möge es zum Beispiel für die Tibetische Gemeinde ein Zeichen der Hoffnung sein, wenn es in anderen Ländern durch Proteste gelingt kleine Ziele zu erreichen.


Während viele Menschen auf der Welt aus ganz unterschiedlichen Gründen auf die Strasse gehen um ihre Wut zu demonstrieren, gibt es andere die schon seit Jahren als Einzelne oder mit kleinen Teams aktiv protestieren, die sich wehren, die sich exponieren und ihr Leben in Gefahr bringen. War da zum Beispiel nicht einmal ein gewisser Assange? Der hat genügend damit zu tun, sich vor der CIA zu schützen und aus Guantànamo zu halten, als dass er noch irgendwelchen Protest machen könnte.

Time Magazine Cover with Julian Assange


Oder war da nicht Ai Weiwei, der nach seiner Freilassung erschreckend still war? Wie lange musste er wohl Spenden-Gelder zählen, wo er doch plötzlich dem Staate China 1 Mio. Euro schuldete um überhaupt Berufung gegen finanzialle Forderungen einlegen zu dürfen? Zum Glück ist Ai Weiwei einer dieser Geister, die man nur schwer zum schweigen bringt. So war es die grösste Freude ihn wieder singen zu hören, auf seine ganz eigene Art. Nebst der grossen Kunst die er produziert, macht dieser Künstler die eigene Person zu Kunst.



Ai Weiwei ein Mal mehr auf Messer's Schneide: Er singt ein eigentlich harmloses Lied, dass veschlüsselt und dennoch klar verständlich schwer provoziert. Ai Weiwei at he's best...


Ai Weiwei sings for his supporters





So wird das Jahr 2011 als das Jahr der Protestierenden in die Bücher gehen, in welcher Form sie das auch immer tun. Das Jahr aller Menschen des Protests und ganz besonders der Frauen.
 
 

December 11, 2011

3. Advent in Bern

 
Ich kann mir mein Elternhaus nicht ohne NZZ, Weltwoche, Geo und andere Zeitungen und Zeitschriften vorstellen. Bei meinem Grossvater gab es u.a. die Süddeutsche Zeitung. Täglich brachte der Pöstler die Zeitung und, nach dem Mittagessen, las mein Vater darin. Am Wochenende wurde dann noch gelesen, wozu die Zeit nicht gereicht hatte. Ausserdem wurden Zeitungs-Artikel ausgeschnitten und zwischen den Haushalten ausgetauscht. Meine Eltern, am Tisch sitzend vor je einer riesigen Zeitung: dieses Bild gehört untrennbar zu meiner Kindheit. Dann waren noch die Sachbücher meines Vaters, er konnte über so viele Dinge Bescheid geben. Wann immer eine technische Frage auftauchte, über die Funktionsweise einer Maschine oder über eine Technologie, wurde er gefragt und meistens gab es auf der Stelle eine umfassende Erklärung. Wenn nicht, hätte er es spätestens am Sonntag Abend gewusst. Auch in der Schweizer Geografie schien er sich so gut auszukennen wie in der eigenen Hosentasche: Kein Pass in diesem Land den er nicht als Jugendlicher mit dem Velo überwunden hätte, kein Gipfel oder See den er auf Wanderungen nicht hätte benennen können.

Ich selbst habe immer wieder in der NZZ gelesen. Es war spannend und erleuchtend, Hintergründe und Zusammenhänge über aktuellen Themen zu erfahren. Heute noch glaube ich an die Wichtigkeit einer gut recherchierten und unabhängigen journalistischen Tätigkeit und bin der Meinung, dass ohne fundierte Informationen keine fundierte Debatte führen lässt — Debatte, die in der Demokratie eines der grundlegenden Elementen für Gerechtigkeit und Anpassungs-Fähigkeit ist.

Doch irgendwie ist all die aus einer NZZ gewonnenen Information oftmals ohne Pointe geblieben, ohne gefühlsmässige Erinnerung. Natürlich bringt die ernsthafte Erkundung der Komplexität unserer heutigen Welt zwangsläufig dazu, dass man immer zu mehr Fragen als Antworten gelangen wird, aber dennoch fehlte mir immer die im alltäglichen Leben umsetzbare Schlussfolgerung. Denn meiner Meinung nach bringt die Erforschung unserer Welt nicht viel, wenn wir daraus nicht zumindest einige Einsichten gewinnen können darüber, wie wir sie besser gestalten könnten. Darin besteht aber auch eine extrem grosse Schwierigkeit und Gefahr, eine Position einzunehmen die nicht allen gerecht wird. Guter Journalismus fällt wahrscheinlich nicht in diese Falle und beschränkt sich darauf, Fakten zu bringen und zu analysieren. Schlussfolgerungen sind schnell gezogen, die Richtigen genau so wie die Falschen. Um zu diese zu gelangen gibt es andere Formate, wie zum Beispiel Zeitpunkt.

Es gab da eine Werbe-Kampagne des Tages Anzeigers, in den 90 Jahren: Das bildfüllende Portrait eines alten, aus einem anderen Kontinent stammenden und zur dort eingeborenen Ethnie gehörenden Mannes, die Jahre tief in den Falten seines Gesichts graviert, einen sichereren und würdigen Blick in die Ferne, ein grosses Loch im Ohrläppchen und als Schmuckstück darin eine leere Alu-Dose mit der noch perfekt lesbaren Etikette "Pineapple Slices" und unter dem Bild gross geschrieben die Frage
MEHR KULTUR?

Für mich ist das bis heute die vielleicht beste Analyse und Synthese, die Verdichtung aller Aspekte der sich damals globalisierenden Welt in ein einziges Bild. Kultur ist Information, Kultur ist Kunst, Kultur ist Zivilisation. Kultur ist NZZ, Kultur ist Opernhaus, Kultur ist WTO (hat übrigens noch jemand etwas von der WTO gehört? Nicht wirklich, oder? Zu demokratisch, dieser Ansatz, für die neue Art zu wirtschaften? Dies ist aber eine andere Geschichte und ein anderer Post). Und Kultur ist die Zusammenhänge zwischen diesen Dingen zu erkennen! Kultur ist vielleicht eine subventionierte Bühne für eine Elite, ganz sicher aber die Gesänge dieses Mannes und seiner Mitmenschen, abends um das Feuer, bei Heiraten und Trauern, bei Geburten und Krankheit. Und Kultur ist diese Dose Ananas, die aus unserer Welt als Konsumgut ihr Weg in sein Ohr als Schmuck fand.

Zu beginn dieser Blogs habe ich mir Mühe gegeben, das Einschleichen von Fehlern zu vermeiden. Ich wollte ja keine falschen Angaben über Menschen machen und möglichst keine falschen Zahlen verbreiten. Ich denke, dass mit dem Menschen ist mir einigermassen gelungen, bei den Zahlen sind mir in letzter Zeit einige Fehler unter gelaufen. Doch ich erhebe nicht den Anspruch, gut recherchierte journalistische Arbeit zu leisten: Dazu habe ich zur Zeit weder die Kraft noch die Motivation. Ich kann mir die Freiheit nehmen Evolution und Soziologie, Ethnologie und Biologie durcheinander zu bringen. Journalismus darf das nicht. Aber im Gegensatz zu damals, im Elternhaus, bin ich der Meinung gibt es heute genügend Menschen die sehr gut recherchieren und es sich dennoch leisten können, die Dinge per Namen zu nennen. Heute haben wir z.B. Greenpeace, deren Arbeitsweise damals undenkbar war. Heute haben wir viele NGOs, die sich grosse Mühe geben und extrem gute Arbeit darin leisten, die von den Big Players gern verschwiegene Tatsachen zu nennen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ausserdem haben wir neue Technologien wie Internet und Smart Phones, die es jeder Art von Macht immer schwieriger machen, Fakten unter den Teppich zu kehren.

Dies ist auch eines der wenigen Gründe zur Hoffnung, die ich zur Zeit habe. Wenn es sich heute die Delegierten einer Klima-Konferenz nicht mehr trauen, ganz ohne Ergebnis zurück nach Hause zu fliegen, dann werden sie sich morgen nicht mehr trauen, Ergebnisse als pure Augenwischerei vorzulegen. Ein nicht wieder umkehrbarer Prozess ist ins Rollen gekommen und wird Machtstrukturen auf der ganzen Welt dazu zwingen, ihr Verhältnis zur Allgemeinheit zu überdenken. Dies heisst aber nicht, dass es nicht neue, sich angepasste Machtstrukturen entwickeln werden. Wer weiss, was ein Putin machen wird, angesichts der sich bildenden Opposition im Lande. Vielleicht wird er noch viel repressiver und blutiger gegen sein Volk vorgehen... Tröstlich ist dann die Gewissheit, dass sich auch in diesem Falle eine immer grössere Anzahl Menschen in Europa dafür einsetzen wird, kein Geschäfte mehr mit Putin zu machen — trotz Gas-Pipeline. Machthaber auf der ganzen Welt werden immer mehr gezwungen sein, Farbe zu bekennen: Dies ist ein Anfang.

Zu realisieren, dass immer mehr Menschen über die wichtigen Informationen verfügt und daraus auch die richtigen Schlüsse zieht, ist mehr als tröstlich: Es macht Hoffnung. Über gut recherchierten Daten und die daraus resultierenden Schlüsse verfügt eine Organisation, die in den letzten Jahren immer wieder sehr gute Themen aufgebracht hat und auch sehr interessante Initiativen lanciert und unterstützt hat: EvB.

Die Erklärung von Bern verdient meiner Meinung nach einen möglichst grossen Bekanntheitsgrad und eine breite Unterstützung. Sie gehört zu den Organisationen heute, die uns eine gute Analyse und Synthese der inzwischen in Unzahl vorhandenen Informationen ermöglichen. Organisationen, die uns nicht zum Gehorsam auffordern, zur tauben Gefolgschaft, sondern viel mehr zum mitdenken und mitgestalten. Organisationen die es auf sich nehmen, unglückliche Umstände anzusprechen und diese zu ändern zu versuchen. Die sich Gedanken darüber machen, in welcher Art von Welt wir in Zukunft leben möchten und, dem entsprechend, zu handeln bereit sind.

Denn dies ist vielleicht die grosse Herausforderung des neuen Millenniums: All die im Überfluss vorhandenen Informationen zu ordnen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen um eine Welt zu gestalten, in der es sich zu leben lohnt. Diese unsere und Gottes Welt so zu bewohnen, dass sowohl wir all als auch Gott daran Freude haben können. Die Informationen dazu haben wir. Zu den notwendigen Schlüssen gelingen wir langsam aber sicher. Nun sollten wir uns auf den Weg machen, die aus den Schlüssen entstehenden Schritte zu gehen. Dieser Weg wurde noch nicht begangen in Vergangenheit, oder nur von ganz wenigen. Das heisst aber nicht, dass wir ihn nicht als Menschheit gehen könnten. Und, wer weiss, vielleicht wird dieser Pfad je länger je schöner, vielleicht finden wir so unsere wahre Kultur, wenn wir uns einmal auf den Weg gemacht haben.