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June 27, 2010
wachstum
Ich staune immer wieder darüber, wie das Thema "Wachstum" zum "Heiligen Gral" gemacht wurde und als alleiniges Mittel für das Vermeiden eines völligen Zusammenbruchs unserer westlichen Gesellschaft gehandelt wird.
Die Weichen dazu wurden schon vor (relativ) langer Zeit gestellt. Und dies wiederholt in verschiedenen Gelegenheiten. Hin und wieder auch in vollem Bewusstsein darüber, was auf der anderen Seite der Wage, auf dem zweiten Wagenteller, auf dem Spiel stand. Eines der massgeblichen (und vielleicht Folgenreichsten) Ereignisse in Zusammenhang mit arbiträrem gegenseitiges Ausspielen von Klima und Wirtschaft wurde von der Administration Reagan begangen. Die ersten Stimmen über globalen Klimawandel wurden öffentlich und laut und der amerikanische Staat gab eine Studie darüber in Auftrag. Die Studie wurde so viele Male in Auftrag gegeben bis man die Darstellung der Fakten erreicht hatte, die man sich gerade wünschte. Dies war vielleicht die schlimmste Verleugnung der damals schon bekannten Fakten, dessen Folgen erst noch auf uns zukommen werden.
Sehr interessant ist auch die Tatsache wie eine der damals veröffentlichten Studien, von einer Gruppe von absoluten amerikanischen Top-Wissenschaftlern geleitet, Prognosen lieferte die heute noch in Sachen richtiger Erkennung der Trends und Genauigkeit verblüfft. Die verschiedenen Wissenschaftler waren alle in Bereichen tätig, die nichts mit Klima, Wetter, Verschmutzung usw. zu tun hatten. Der Bericht wurde also als "nicht Fachkompetent" deklassiert. Wieder einmal ein Beispiel dafür wie sogenannte Fachkompetenz nicht immer zum objektivsten und besten "Big Picture" verhilft.
Ein sogenannter "Klima-Skeptiker" (bis heute in seiner Position festgefahren, die Mitbeeinflussung des Menschen im globalen Klimawandel sei nicht bewiesen) lieferte der Politik schlussendlich die gewünschten Daten. Auf diese Weise konnte wirtschaftliches Wachstum weiterhin die höchste Maxime und das wichtigste Ziel bleiben, würden globale Naturereignisse nicht unter die Verantwortung des Menschen fallen — so die Ableitung aus den Schlussfolgerungen der Studie.
Und heute stehen wir da und besprechen ob Wachstum ja oder nein. Und ich verstehe das nicht... Ich verstehe nicht wie dies überhaupt zum Thema werden konnte. In dieser Form. Ich verstehe nicht weshalb etwas zu unternehmen zum Schutz des Planeten überhaupt als "wirtschaftlich Kontra-Produktiv" betrachtet werden kann, auch nur im Entferntesten. Ich verstehe nicht wie Politiker wirklich glauben können, etwas Gutes für die Allgemeinheit zu tun, wenn sie versuchen eine kleine Krise morgen zu vermeiden und somit eine viel grössere Krise in einer Woche überhaupt nicht beachten.
Eines glaube ich aber zu verstehen: Das Grundübel. Möge es "reaktionär" oder "sozialistisch" tönen, doch das schon viel dämonisierte "shareholder value" ist in meinen Augen wirklich eines der grossen Übeln unserer Zeit. Natürlich ist es nötig mit fremden Kapital Investitionen betätigen zu können. Natürlich ist daran auch nichts auszusetzen. Das Übel beginnt dann, wenn Firmen nicht mehr Dienstleistungen oder Produkte herstellen, sondern Kapitalgewinn generieren müssen. Und auch daran ist nichts auszusetzen, wenn dies mit den nötigen und Branchen-Spezifischen Schwankungen geschehen darf. Viele kluge Köpfe haben in den letzten Jahren viel über diese Themen nachgedacht und sind zu vielen Folgerungen gelangt. Ich bin nicht der erste der diese Bemerkung macht und ich kann sie nicht mit Fachwissen belegen, dennoch denke ich hier liegt ein grundlegender Knoten unserer heutigen Gesellschaft.
Es kann nicht sein, dass zum Beispiel eine Firma die Consulting betreibt (also mit dem Wissen ihrer Mitarbeiter geschäftet) nicht mehr die Zeit hat in ihre Mitarbeiter zu investieren, weil die Umsatzzahlen 4 Mal im Jahr stimmen müssen. Sie müssen stimmen und sie müssen steigen. Es kann nicht sein, dass für eine solche Firma das höchste Gut nicht die Mitarbeiter sind sondern der Umsatz.
Ich staunte als ich hörte, wie ein Unternehmer in Deutschland nicht auf Wachstum setzt sondern auf ganz andere Faktoren achtet und wie er nun von Universität zu Universität geht und sein Erfolgsrezept unter die Leute zu bringen versucht. Ich finde es wunderbar, wird dies gemacht, doch ich finde es irgendwie seltsam und traurig wie es überhaupt so weit kommen konnte, dies als etwas spezielles und beachtliches zu betrachten.
Wachstum... Natürlich läuft es Politikern und Wirtschaftleute kalt den Rücken runter, wenn man sie vor der Wahl zwischen Wachstum (also vermeiden des wirtschaftlichen Kollaps) oder Rettung des Klimas stellt. Ich denke aber die zwei Dinge haben rein gar nichts antagonistisches. Natürlich sehnt sich der Mensch nach Wachstum, natürlich strebt er nach mehr in seinem Leben. Das ist gut so und entspricht unserer Natur. Doch 4 Male im Jahr grössere Zahlen in einer Tabelle sind nicht das einzig mögliche Wachstum.
Wachstum kann auch heissen: grössere Erfahrung, zufriedenere (also effizientere) Mitarbeiter und, in der Klima-Debatte sehr wichtig, bessere Qualität.
Ich muss nicht immer mehr Mitarbeiter haben die immer effizienter und effektiver schaffen... Heute wissen wir, die Lebensqualität steigt nicht automatisch parallel mit diesen Werten zusammen. Vielleicht ist es viel interessanter gleich viel Mitarbeiter zu haben, die viel bessere Qualität produzieren. Und Qualität kann so vieles sein.
Ich bin immer wieder von der Familie Hayek fasziniert, die sich bewusst dem Druck der Börse entzogen hat und ihre Betriebe eben in sogenannter familiärer Art leiten möchte. Leider ist es den meisten Unternehmen nicht möglich, aus einer solchen Position heraus zu wirtschaften. Also denke ich muss unbedingt etwas an der Art geändert werden, wie Unternehmen geführt werden. Respektive an den Kriterien wonach Unternehmen geführt werden.
Niemand würde auf die Idee kommen, die eigene Familie muss immer und unerlässlich mehr leisten, die Zahl ihrer Bekannten und Freunden ununterbrochen steigern, die Zahl der Arbeitgeber der Arbeitstätigen Familienmitgliedern, immer bessere Löhne kassieren und dennoch immer mehr Zeit für Ferien haben. Warum sollte also ein Unternehmen nach solchen Gesetzmässigkeiten funktionieren?
Solange es reichen wird, eine Zahl in Rot zu färben und eine Minus davor zu schreiben um automatisch von einem negativen Ereignis auszugehen, solange werden wichtige Änderungen in unserer Gesellschaft nicht möglich sein. Änderungen die wir aber dringendst benötigen würden. Dass nach Rot wieder Grün kommt liegt in der Natur der Sache. Weshalb darf also Rot unbedingt nicht sein? Warum gehen Jobs verloren und unsägliche Reichtümer lösen sich in Luft auf, wenn einmal an einer Börsenwand rote Zahlen stehen?
Dann möchte man etwas dagegen machen, Deutschland verbietet ungedeckte Leerverkäufe im Alleingang und was geschieht? Europa erteilt einen Rüffel. Und die Märkte reagieren negativ!!! Das finde ich so unglaublich: Man führt Massnahmen zur Regulierung der Märkte ein und diese scheinen den Märkten zu schaden. Zumindest reagieren die Märkte so, als würden diese Massnahmen schaden. Ist da nicht der Wurm drin? Dann müssen wir uns halt fragen "Wer genau sind diese Märkte?" Wer zieht sein Geld wieder ins Boot wenn man versucht die Märkte etwas Krisenresistenter zu gestalten?
Wachstum ist gut. Doch sollten wir nicht genauer darüber nachdenken, welche Art von Wachstum wir wirklich möchten? Ich bin der Meinung, es gibt auch einen Wachstum der uns hilft damit aufzuhören den globalen Klimawandel weiter und weiter anzutreiben. Und die Gesellschaftsschäre weiterhin zu öffnen. Siehe auch Nicolas Hayek oder Muhammad Yunus und die Grameen Foundation. Und viele andere.
Bei der Sternstunde Philosophie vom 20. Juni "Kulturelle Revolution gegen Umweltkrisen?" hat mir Harald Welzer eine knappe Stunde lang aus dem Herzen gesprochen.
Leider hat SRF das Video aus dem Netz genommen, oder zumindest kann ich es nicht mehr finden.
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