Kein Gott der über uns wacht und richtet. Kein Paradies und keine Hölle. Keine Beichte am Sonntag die alles wieder in Ordnung bringen könnte. Rein gar nichts?
Ich glaube, der Mensch kann sehr wohl seine Erlösung finden. Hier auf Erden. Ich glaube, jedem kann verzeiht werden, egal was er getan hat. Ich glaube, der Mensch kann seinen Frieden finden, mitten in Gottes Schöpfung.
Anja Bührer: Heaven Is A Place On Earth II
Kein Wesen zuvor war sich seines Werdens bewusst, ja sogar seines Geworden Seins. Und gerade deshalb liegt es in der Verantwortung des Menschens, sich über seinen Platz in Gottes Schöpfung zu hinterfragen. Er muss, um ein erfülltes Leben führen zu können, versuchen nach dem Sinn der eigenen Existenz zu suchen und er muss versuchen diesem Sinn gerecht zu werden.
Selbst wenn Gut und Böse erst mit dem Menschen auf Erden gebracht wurden, kann niemand behaupten es sei im völlig egal, wenn sein Leben von Schmerz und Leiden geprägt ist. Der Versuch, das eigene Leben und das der Andern soweit wie möglich von Leid zu befreien liegt eigentlich in der Ur-Natur eines Jeden. Und ich denke, dies muss auch einen Bezug zum Göttlichen haben.
Denn, wenn Pflanzen und Tiere kein Unterschied zwischen Gut und Böse kennen, so kennen sie Schmerz. Der Mensch aber kann sein Handeln bestimmen, er ist der alleinige Verantwortliche dafür. Wenn zu Zeiten von Jesus Gut und Böse ein Hauptthema waren, wenn es darum ging die Verantwortung des eigenen Handelns zu veranschaulichen, dann ist es kein Wunder dass Botschaften wie jene die Jesus verbreitete über Jahrtausende bestand hatten. So wie er haben viele andere Menschen diese Werte propagiert. Damals, zu seiner Zeit, aber auch in ganz anderen Zeiten und Kulturen. Denn dies haben alle monotheistische Religionen gemeinsam: Sie versuchen den Menschen ein Regelwerk für Verhalten und Moral zu bieten. Und sie propagieren Mitleid und Mitgefühl, also Nächstenliebe.
So wie es vielleicht damals notwendig war, den Menschen wieder vor Augen zu bringen, dass jeder eine Verantwortung mitträgt für das was er tut und anderen antut, so ist es heute vielleicht wieder notwendiger die Menschen daran zu erinnern, dass die Verantwortung nicht nur im Hier und Jetzt existiert. Doch, wenn es kein Paradies und keine Hölle gibt, wie kann die Verantwortung über das Hier und Jetzt hinaus gehen? Wie hat mein Handeln Konsequenzen die über diese materielle Dimension hinausgehen? Ich denke, dies ist eine der grossen vergessenen Fragen unserer Zeit. Heute, wo uns die klassischen Antworten der Religionen nicht über das Bild- und Beispielhafte reichen, fehlen uns Anhaltspunkte um das Göttliche fühlen zu können.
Und ich denke, der Ansatz von Jesus, genauso wie der von Buddha und der Buddhistischen Lehre, geben uns den richtigen Hinweis dazu. Die Linderung des Leidens ist ein Weg der aus unendlich vielen Wegen besteht. Weil Leid für jeden Menschen was anderes bedeutet, ist dessen Linderung auf für jeden was anderes. Und niemand kann bestreiten, sich nicht ein Leben ohne Leid zu wünschen. Obwohl dies nicht ganz erfüllbar bleiben wird, in dieser unseren Existenz, ist vielleicht doch das Streben danach in Gottes Sinne. Leid für sich selbst und für alle Wesen auf der Erde zu vermeiden.
Was machen die Demokratien seit dem Ende des 2. Weltkriegs? Sie versuchen durch Gesetz und Moral, durch Gleichberechtigung und Solidarität, die systemischen Ursachen für Leiden zu vermeiden. Doch vielleicht droht dem Menschen immer wieder das Risiko zu vergessen, weshalb solche Anstrengungen gemacht wurden. Immer wieder riskiert der Mensch, für bestimmte Zwecke gewisse Mittel zu rechtfertigen, was sie aber niemals tun. Denn kein Zweck rechtfertigt das Verbreiten von Leiden. Und wenn man hier die Notwehr als einzige Ausnahme in Betracht zieht, beginnt sofort das so Menschliche feilschen um das Tauschgeschäft.
Wann findet der Mörder wieder zu Gott? Wann nimmt Gott wieder den grössten Sünder in seine Arme, nach dem Christlichen Glauben? Wenn er ehrlich bereut. Wenn er am Boden zerstört ist und seine Nichtigkeit angesichts der Schöpfung erkennt. Sein verzweifeltes Streben nach etwas, das niemals erreicht werden kann. Denn er suchte in der ganz falschen Richtung. Ist dies nicht eine Einsicht? Ist es nicht eine sich öffnende Tür, ein neuer Klang, eine Schwingung die im Innern dieses Menschen zu wirken beginnt? Und die Christliche Kultur nennt dies die Wiederkehr zu Gott.
Bild: Marcy Lanfranco Orlandini
Ist es also nicht möglich, dass diejenigen, welche die Gnade erfahren dürfen, diese Türe offen zu halten, diesen Klang, diese Schwingung am Leben zu erhalten, Göttliches erfahren?
Ich glaube nicht an einen Gott der über mich richtet. Doch ich glaube daran, dass ich mich dem Göttlichen zu- oder abwenden kann. Welche die Folgen sind, vermag ich nicht zu sagen. ich denke jedoch, dass Leid und Schmerz eine grosse Rolle beim sich davon abwenden spielen. Ich glaube an die Botschaft Jesus, so wie ich an das Werk von Mutter Theresa glaube. Oder das Vermächtnis Buddhas. Und die vieler Anderen. Jede dieser Vermächtnisse hatte was mit der Zeit und der Kultur zu tun, in der sie entstanden.
Ich glaube daran, dass wir nach einem Leben in Frieden streben sollten. Und ich glaube daran, dass Gott nichts dagegen haben würde. Ich glaube daran, dass Himmel und Hölle in einem Jeden von uns zu finden sind. Ich glaube daran, dass jeder schlussendlich sein eigener Petrus ist. Der Einlass ins Paradies, ist vielleicht eine der schwierigsten Übungen für uns Menschen. Noch.
Bild: Marcy Lanfranco Orlandini