Der Titel dieses Posts mag auf den ersten Blick als Provokant erscheinen, damit sollen aber folgenschwere Unklarheiten und Verwechslungen zum Ausdruck gebracht werden, welche in unserer westlichen Kultur praktisch überall für einen Mangel an Bewusstsein und Feingefühl sorgen. Während der letzten 4 Jahre habe ich in meinen beiden Blogs hunderte von Malen vom Wort
LIEBE Gebrauch gemacht und habe, hin und wieder, versucht darzustellen was ich damit überhaupt meine, wovon da immer die Rede gewesen ist.
Zum Beispiel habe ich von dieser Art von Liebe geschrieben, die über die elterliche Liebe hinaus geht. Ich habe von Nächstenliebe geschrieben, von Seelen-Verwandtschaft, usw.
Im Laufe der Zeit hat sich der Begriff
LIEBE in unserer Gesellschaft stark gewandelt. Im Mittelalter meinte jemand etwas anderes mit diesem Wort als wir das heute tun. Noch nie hat man mit diesem Begriff so sehr die Idee einer romantischen Liebe assoziiert wie wir es heute tun. Noch nie verstand man unter diesem Begriff derart viele leidenschaftliche Gefühle. Noch nie verstand man damit so viele Gefühle im Allgemeinen. Es ist nicht lange her, war die Union zwischen Mann und Frau nicht unbedingt auf ein Konzept idealisierter Liebe basierend, sondern viel mehr auf ganz konkrete alltägliche Bedürfnisse zugeschnitten, der Lösung von Grund-Bedürfnissen zugeschnitten.
In vielen Ländern kennt man heute noch arrangierte Heiraten, bei denen eine Unzahl von Aspekten mit eine wichtige Rolle spielen: Das Erhalten von Gütern und Besitz innerhalb einer Blutlinie, das optimieren der finanziellen Lage einer oder beider Familien, die Sicherstellung von Mitteln während der späten Jahren der Eltern der verheirateten Paares, usw.
Die moderne Unterhaltungs-Industrie hat in sehr sehr starkem Ausmass dazu beigetragen, dass wir heute unter dem Begriff der
LIEBE ziemlich unmittelbar an eine idealisierte, romantische und leidenschaftliche Union eines Mannes und einer Frau denken.
Tatsache ist, dass einem Buddhisten eine ganze Anzahl von Wörtern zu Verfügung stehen, um das von mir angesprochene Gefühl zu beschreiben. Zuerst einmal assoziiert ein Mensch aus einem buddhistischen Land (vielleicht noch) nicht das Selbe mit dem Wort Liebe wie wir es tun. Aber viel wichtiger ist, dass ein Buddhist eher zuerst an Gefühle denkt, die dem nahe kommen was ich unter dem Begriff Liebe andeutete. Für ein Buddhist ist Liebe eine Art „Oberbegriff“ für all die positiven Empfindungen die ein Mensch erfährt, wenn er ein offenes Herz hat und dabei Freude empfindet.
Um genau diese Art möglicher Missverständnisse zu vermeiden begann man damit, in der Übersetzung buddhistischer Schriften das Gefühl, dass durch das Praktizieren von Meditation erreicht wird, nicht das Wort
LIEBE zu gebrauchen sondern vielmehr
GÜTE oder
MITGEFÜHL.
Diese Begriffe können uns viel besser vermitteln, was alles LIEBE sein mag, wenn davon die Rede in meinen Blogs ist. Ich denke es ist wirklich wichtig und auch höchste Zeit dafür, dass wir in unserer Kultur wieder etwas mehr Gespür für diese Dimensionen des menschlichen Wesen zu entwickeln beginnen. Es ist langsam fast von Nöten, dass wir wieder einen Zugang zu diesen unermesslich reichen Universen in unserer Seele suchen, Orte von solch unwahrscheinlicher Schönheit und Fülle, Orte der Freude und der Ruhe, zu denen wir langsam aber sicher jeglichen Bezug am verlieren sind.
Ich möchte mir keine Welt vorstellen müssen, in der die menschliche Rasse nicht mehr zu dem finden kann, was eben den Menschen zu dem gemacht haben, was er ist. Denn das Unwahrscheinliche und so Wunderbare am Menschen, das was ihn auf dieser Welt so einzigartig macht, ist nicht sein grosses Gehirn und die Art wie der damit umzugehen gelernt hat (obwohl unser Gehirn das komplexeste Gebilde im Universum zu sein scheint und sein Potenzial eigentlich so etwas wie ein Wunder ist), sondern vielmehr sein Gefühl der
LIEBE, die er dank seinem Gehirn nun sogar bewusst wahrnehmen konnte und der Aussenwelt mitteilen.
Ich habe oft diese Art der
LIEBE angesprochen. Auch als ich der Jungen Dame sagte, dass meine Gefühle für sie natürlich auch leidenschaftlicher Natur seien, es aber dazu erst in einem zweiten Schritt gekommen war, nach dem ich mir meiner Gefühlen von
GÜTE und
MITGEFÜHL bewusst geworden war. Sie verstand unmittelbar wovon ich da gerade schwafelte.
Leider versteht aber der Zeitgenosse in unserer Gesellschaft immer weniger seine eigenen Gefühle und strebt gar nicht mehr bewusst nach
GÜTE und
MITGEFÜHL, weil er es im Alltag von niemandem gelernt hat. Vielleicht hat er davon gehört, hin und wieder im Zusammenhang mit Religion, doch weil diese immer mehr aus unserem Alltag verschwindet, verlieren wir auch die Notion von Wichtigkeit in Bezug zu diesen Gefühlen. Im gesellschaftlichen Alltag ist etwas in diese Richtung nicht erforderlich — genügend oft und leider immer öfters kann es sogar von grossem Nachteil sein, wenn man sich beim täglich neuen Kampf um Behauptung und um einem Platz in der Gladiatoren-Arena von derartigem „Ballast“ selbst verhindert.
Was wir lernen ist, dass mit etwas Glück die Begegnung mit einem anderen Menschen in Liebe münden kann. Junge Leute haben schon hier die erste Schwierigkeiten, wenn sie Liebe und sexuelles Verlangen nicht zu unterscheiden wissen. Wir lernen, dass eine Liebe mit sehr sehr viel Glück ein Leben lang halten wird (im Bereich weniger Prozente gegenüber der Anzahl von Paaren), und dass aus dieser Liebe Nachkommen auf die Welt gebracht werden. Sehr oft sind wir der Meinung (auch weil es uns Tag für Tag vorgespielt und vorgeführt wird), dass wir uns an dieser Liebe sehr wohl erfreuen können und dass wir sie dankbar und mit voller Sehnsucht „konsumieren“, dass aber meistens zur Liebe auch eine ganze Ladung schmerzlicher Empfindungen und Gefühlen dazu zu gehören scheinen. Wir denken es sei ganz normal, wenn wir all die ungelösten Problemen, die jeder Mensch mit seinen Eltern erlebte, die ihm diese in deren Beziehung vorgelebt hatten, die er mit sich selbst hat unausweichlich zum Konflikt führen werden, in den sogenannten Liebes-Beziehungen die wir im Laufe eines Lebens eingehen werden. Wir denken, es gehöre zur Liebe dazu, wenn diese in der grössten Mehrheit der Fälle in Schmerz und Konflikt endet.
Ich denke, ein wichtiger Grund für so viele Probleme welche bei unserem Umgang mit „Liebe“ zu beobachten sind, entspringen der Tatsache, dass in unserer Gesellschaft Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen
LIEBE,
GÜTE und
MITGEFÜHL eine immer kleinere Rolle spielen, dass wir uns mit diesen Aspekten des Lebens nicht mehr auseinandersetzen, zum Beispiel im Rahmen der Familie oder der Erziehung.
"Book of Books" von Vladimir Kush
Book of Books
Symbol of divine revelation. On the Greek mosaic of XI century is represented Christ, holding in hands the Bible. As asserts Borges (Jorge Luis Borges. Letters of God) any book is a ramified labyrinth and, going on it, it is always possible to encounter the Book of the Books. Translucent, nacreous colors emphasize virgin purity of image of Mary holding baby Jesus, wings of the butterfly behind her personify the soul aspiring to the blue skies. Symbolism of the picture where the figure of Virgin Mary seemingly merges with the Book of Books, associates with figurativeness of the fresco "Annunciation"pictured by Italian master of Early Renaissance Fra Angelico. It represents Archangel Gabriel appearing before Maria as she was absorbed in reading the Bible - the passage in the Book of Isaiah, where was spoken about the virgin who will give birth to the son.
Ich kann mich noch so gut daran erinnern, wie ich einmal jemand sagen hörte, Liebe sei bloss die Aneinander-Reihung einiger kurzen Momenten der Verliebtheit und Freude, ein kurzer Augenblick des Zaubers und der Illusion. Wenn wir wirklich unsere Nachkommen mit dieser Notion von „Liebe“ erziehen, dann müssen wir uns aber nicht wundern, wenn die menschliche Rasse über kurz oder lang dazu verdammt ist, in Sodoma und Gomorrha zu enden, sich in die Luft zu jagen, oder ganz einfach vor dem Fernseher dahinvegetierend zu enden. Unser Gehirn ist viel zu kraftvoll, um für eine derart abgestumpfte Gefühls-Welt noch problemlos funktionieren zu können. Solch machtvolle Kraft im Dienste solch unausgereifter Bedürfnisse? Das kann nicht gut gehn!
„Ich liebe dich“ oder
„Ich liebe das“ ist so viel viel weniger als
LIEBE, denn diese kennt keine Abhängigkeit vom geliebtem Objekt und sie kennt keinen Eigen-Nutzen. Weshalb ist es für uns heute gesellschaftlich so schwierig geworden, uns der Exploration dieses Pfads zu widmen und unseren Kindern das unbezahlbare Geschenk der dabei gewonnenen Erkenntnissen zu machen?
Denkanstoss zu diesem und anderen Posts
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"Buddha und die Wissenschaft vom Glück"
von Yongey Mingyur Rinpoche, erschienen bei Goldmann Arkana.