December 21, 2011

Warhnehmung & Liebe

 
Unzählige Kunstwerke erstatten einen Blick auf die Wahrnehmung von Menschen, sowohl in Bezug auf die eigene Person wie auch die über Mitmenschen und Umwelt. Die inspiriertesten Geister haben sich viele Gedanken darüber gemacht, was die Realität sein könnte und wie sehr sie ein mehr oder weniger reales Abbild ist. Man fragte sich, ob die Aussenwelt vielleicht nicht nur eine Illusion sein könnte. Man untersuchte wie gross die Unterschiede zwischen den Wahrnehmungen der Welt von Seite verschiedener Menschen und verschiedener Tiere sein könnte. Es gäbe hier sehr schöne und interessante Beispiele, doch es würde den Rahmen sprengen.

Was ich andeuten wollte ist die Tatsache, dass eine und die selbe Person als eine unglaubliche Zahl verschiedener Menschen beschrieben werden könnte, von verschiedenen Personen die mit der Beschriebenen zu tun hatten. Niemand würde lügen, niemand würde bewusst Tatsachen verdrehen, niemand würde nichts als die eigene Sicht auf die Person erzählen. Darüber hinaus kommt noch die Selbst-Wahrnehmung eines Individuums, die zwangsläufig extrem Subjektiv sein wird, die sich im Laufe eines Lebens mehrmals ändern wird, die sich selbst bei einer psychisch gesunden und stabilen Persönlichkeit völlig verändern würde, je nach gelebtem Leben und erfahrener Umwelt wie Kultur, Ausbildung, usw.

Ein Beispiel: Vor einiger Zeit, bei einer Unterhaltung zwischen meiner Mutter und mir, kamen wir dazu über meinen Grossvater zu sprechen, ihr Vater also. Ich machte die Bemerkung "Opa ist schon cool gewesen." Meine Mutter sieht mir verdutzt an und meinte sofort "Also... zwischen all den vielen vielen Wörter die zur Beschreibung deine Grossvater gebraucht werden könnten, ist "Cool" so ziemlich das Letzte, was auf ihn zutreffen würde." So banal kann im Alltag die völlig verschiedene Wahrnehmung eines geliebten Menschen zum Ausdruck kommen. Ich meine heute noch, dass mein Grossvater durchaus auch cool gewesen ist. Doch ich kann mir irgendwie, durch die Erzählungen meiner Mutter und auch meines Opas vorstellen, dass dieser selbe Mensch keineswegs sowas wie Cool in der Augen meiner Mutter gewesen ist. Wir sprachen über die Vergangenheit und brachten einige Erinnerungen zurück. Keiner der Beiden wollte irgendwie Recht behalten oder Partei für oder gegen was ergreifen — das Gespräch war komplett wertungsfrei. Beide unsere Einschätzung sind nicht als falsch zu betrachten, keiner von uns wurde meinem Grossvater ungerecht.

Der Unterschiedliche Umgang von Eltern und Grosseltern mit den Kindern ist allgemein bekannt. Die früheren Eltern werden sich viel entspannter und wohlwollender den Enkelkindern zuwenden, als sie es mit den Kindern taten.
Dies ist bestimmt einer der Gründe für die unterschiedlichen Erinnerungen. Darüber hinaus habe ich aber auch Facetten und Charakterzüge meines Opas kennengelernt, die niemand sonst erfahren konnte. Weder meine Mutter noch mein Bruder. Auch er hat ein von diesem Menschen sehr unterschiedliches Bild als es das meine ist.



Doch etwas weiss ich genau: Bei all den möglichen Unterschiede und Widersprüche in der Wahrnehmung eines Menschen, bei all der Subjektivität im Umgang der Menschen zueinander, bei all den daraus entstehenden Missverständnisse und Konflikten, bei all der schier erschreckenden Unbeständigkeit menschlicher Beurteilung, bei all der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit menschlicher Emotionen: das Gefühl von Liebe könnte niemals von einer Maschine ausgespuckt werden, als vermeintliches Resultat einer noch so komplexen und nicht mehr vom menschlichen Verstand erfassbaren Anreihung verschiedener Rechenprozesse. Kein zukünftiges Logarithmus wird jemals Liebe definieren können.. Liebe kann nicht simuliert und geschweige denn vervielfachtet werden. Liebe wird niemals dank eines künstlichen Konstrukts reproduzierbar sein.

Liebe, das wahrscheinlich Subjektivste der Welt, kann an Objektivität nicht mehr übertroffen werden! Sie ist deshalb nicht mehr konzeptuell zu verbessern, zu optimieren oder zu konsolidieren, ihre Leistung kann nicht gesteigert werden und ihr Wirken kann nicht beeinflusst werden.

Wenn nicht einmal ich dieses Gefühl einfach so aufrecht erhalten kann... Wenn nicht einmal ich, der sich so sehr daran erfreut hat, es schaffe mein Herz einfach offen zu behalten und die Liebe fliessen zu lassen. Doch deswegen mache ich mir wenig Sorgen. Eigentlich gar keine. Denn ich weiss, meine Liebe zu dir wird unmittelbar wieder da sein, wenn ich in deine Arme sein darf und dich in meinen Armen halten darf. Und darüber hinaus bin ich mir ziemlich sicher, dass ich zu wenig Zeit hatte um mich von diesem Wunder ändern zu lassen, um zu lernen die Liebe jederzeit fliessen zu lassen.

Natürlich stand hier auch das Trauma im Weg — und nicht wenig. Wie kann man sonst die Tatsache erklären, dass ich durchaus Vertrauen zu dir habe, komplettes Vertrauen, und dennoch nicht in der Lage bin, mich dem Gefühl hinzugeben? Keine Ahnung. Ich denke darüber nach, weil ich gerne dieses Gefühl in den letzten Jahren so stark gespürt hätte wie damals. Mein Leben wäre so unglaublich einfacher gewesen. Schmerz- und Krampfloser. Weniger erlitten, so viel weniger erlitten wäre mein Leben in den letzten Jahren gewesen.

Weisst du noch wie das war, damals? Weisst du noch wie... ganz einfach unbeschreiblich das gewesen ist? Im Schönen Schloss ist es für mich so schön gewesen, mich einfach diesem Gefühl hingeben zu können. In der Harten Klinik war ich ja auch schon mehr als glücklich, doch es waren kurze Einblendung in so viele andere Geschichten, die sich überlappten und beeinflussten. Diese Einblendungen waren so unglaublich schön, so perfekt, dass ich es zu beginn wirklich nicht glauben konnte. Ich war überzeugt, es musste sich hier definitiv um eine Fata Morgana handeln, um das kurze Aufflackern eines Sterns, bevor er nicht mehr zu sehen ist, bevor wir ihn nicht mehr wahrnehmen können. Ich konnte wirklich nicht glauben, dass es so hätte sein können, wie ich eigentlich aber empfand. Ich konnte nicht glauben, dass es wirklich so einfach sein könnte, in diesem Universum und besonders auf dieser Welt, einen Menschen zu treffen und zu erkennen. Ich meine: Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, mit 40 Jahren überhaupt noch die kleinste Chance zu haben, womöglich "den" Menschen zu treffen? Und selbst wenn dies geschehen würde, wie gross wäre die Wahrscheinlichkeit, dies würde in einer Klapse sein? Aber noch viel unglaublicher ist die wenige Zeit und die wenigen Wörter die nötig gewesen sind. Ich konnte es wirklich nicht fassen, dass dies wirklich gerade passierte. Wie konnte man sich nicht zwangsläufig sowas von täuschen, wenn man das Gefühl hatte, den Leim den die eigenen zwei Hälften zusammenbringt und hält, in einer anderen Person gefunden zu haben. Und dies ohne jemals grössere Unterhaltungen gehabt zu haben. Ohne miterlebt zu haben, wie dieses Wesen auf dies oder jenes Reagiert, draussen in der Welt aller Tage, im "normalen" Leben. Ohne zu wissen, was diese junge Frau wütend macht, was sie streitlustig macht, was sie überfordert und was sie unterfordert, welche Sehnsucht sie im Tiefsten ihres Herzens mit sich trägt. Ohne eine Ahnung darüber zu haben, ob sie zielstrebig sein kann oder sich ununterbrochen verzettelt, ob sie mich als unrealistischer Träumer, als Phantast empfinden wird oder ob sie sogar meine Phantastereien mit mir teilen wird. Ohne zu wissen ob es die geringste Chance geben könnte, dass sie trotz all meiner Probleme überhaupt noch ihr Gefühl zulassen wird. Wie gross war die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Engel von all meinen Problemen Angst bekommen würde? Dass diese Frau sich nicht zum Schluss gelangen würde, ihre eigenen Probleme seien schon mehr als genug und haben sie schon neun Monate hier verbringen lassen? Wie sollte ich nicht vermuten, dass keine Frau auf der Welt mit 20 das unglaublich komplizierte und vorbelastete Leben eines zur Zeit kaputten und zur Zeit Loosers von über 40 sich noch zu teilen hätte wünschen können, sie neu und weiter zu gestalten.

Kurz gesagt: Wie konnte so etwas so derart wünschenswertes so einfach und perfekt daher kommen? Wie konnte so viel Glück, einfach plötzlich da sein? Ohne sich als Glück vorzustellen, ohne grosses Aufsehen, ohne Versprechen und ohne Hypothek? Wie konnte so etwas, sozusagen von jedem Menschen auf Erden gewünscht, einfach auf ein Mal ausgerechnet für mich da sein? Und dazu in einem denkbar schwierigen Moment? Mehr als unerwartet?

Wieso um alles in der Welt sollte ich nun so viel Glück haben? Ich habe keine Ahnung. Und ich kann heute noch nicht so richtig glauben, was damals alles geschehen ist. Wie konnte ich plötzlich, ohne eine Sekunde zu zögern, ab nun dazu bereit sein mein Leben in die Hände einer jungen Frau zu geben, die ich nicht wirklich kenne? Wie kann das nicht die Dummheit sein, die Verliebtheit gelegentlich mit sich bringen soll? Woher dieses Gefühl, dass so viel klarer ist als all meine Gedanken? Woher die absolute Gewissheit meines Gefühls, dieser Mangel an Zweifel? Ich traue mich fast nicht, meinem Gefühl zu trauen. Doch ich habe von Beginn an keine Chance: Liebe lässt sich nicht erfassen, sie lässt sich nicht nachvollziehen, sie lässt sich nicht immer verstehen. Und sie muss es auch nicht. Sie kann einfach geschehen.

Und, wie ich nun seit einer ganzen Weile am schreiben bin, ist es die Herausforderung eines Menschen, dieses Gefühl zu erkennen und zuzulassen, in all seiner unglaublichen Macht und Schönheit.


Ich freue mich auf was noch kommen wird, mein Sonnenschein.