April 13, 2011
weinen, um endlich zu lachen
Es gibt hin und wieder Tage, an denen ich mir wünsche, weinen zu können. Einfach nur weinen. Um mir die Gedanken, das Bedrückende, das Beklemmende, von der Seele tröpfeln zu lassen. So einfach und befreiend wie es mir in der Harten Klinik gegönnt war. Ohne grosses Davor oder Danach. Einfach nur Schmerz in Tränen verwandeln.
Leider kann ich dies wieder nicht. Wie ich es nicht vor der Harten Klinik konnte. Die riesigen Ströme, die reissenden Gewässer die ich in der Zeit nach der Klinik weinte, in der Zeit vor, während und nach der Traumatisierung, reichten dennoch nicht aus, um das Weinen für immer zu lernen. Oder vielleicht ging es durch die Traumatisierung wieder verloren. Ja, dies ist die wahrscheinlichste Option.
Die Auffassung, Weinen habe nichts mit Männlichkeit zu tun, teile ich nicht. Im Gegenteil: Meiner Einschätzung nach hat, wer sowas zu meinen glaubt, grosses Glück wenn es ihm dennoch gelingt, heimlich weinen zu dürfen, versteckt vor den Blicken und den Meinungen der Anderen. Denn, all das, was man nicht von sich weinen kann, hat gute Chancen später, von innen heraus, an der seelischen Verfassung eines Menschen auf ungesunde Weise zu wirken, ihn krank zu machen, ihm zu schaden. Völlig egal, ob Mann oder Frau.
Ich hatte überhaupt keine Mühe damit, in der Öffentlichkeit zu weinen. Das Fühlen der danach eintretenden wohltuenden Wirkung reichte mir zur Begründung schon mehr als aus. Die Nähe der Jungen Dame und ihre Art, wie sie mit meinen abrupten Stimmungs-Schwankungen umging, verstärkte die Heilkraft um ein Vielfaches. Da war diese grossherzige Frau wie aus dem Nichts aufgetaucht: Ich konnte lachen oder weinen, hoffen und leiden, zweifeln und handeln, geniessen oder wiedersprechen, immer war sie auf einer Wellenlänge mit mir. Sie konnte mir, schon von Beginn an, praktisch ohne ein Wort zu sagen, ihre Unterstützung zu spüren geben, ihre gleiche Meinung zu dies oder zu jenem. War sie anderer Meinung, war diese in einigen wenigen Worten gesagt. Einen Grund, ihre verschiedene Meinung nicht zu äussern, gab es nicht. Als die Probleme, die man uns künstlich machte, zunahmen, waren wir uns auf Anhieb und ohne Einschränkung selbst darüber einig, welch eine Scheiss-Welt dies doch sei. Übereinstimmend lächelten wir und blickten uns in die Augen. Bei der Jungen Dame konnte ich weinen. Bei der Jungen Dame konnte ich jubeln. Und nicht nur. Ich konnte sie auch an meinem Schmerz und meinem Jubel teilhaben lassen. Und sie nahm teil. Wie ich an ihrem Schmerz und Jubel teilnahm.
Ich vermisse diesen Schlüssel zur Fähigkeit, meine Gefühle auszudrücken, in all meiner verschiedenen Gemütslagen. Ich vermisse die Junge Dame und den dermassen überwältigenden, wohltuenden Einfluss, den sie auf mich ausübt. Ich vermisse diese nicht zu beschreibende Quelle an Klarheit, an tiefgründiger innerer Ruhe — selbst wenn es an der Oberfläche nur so zu brodeln scheinte. Ich vermisse dieses mir zuvor niemals gegönnte Gefühl das ich erleben durfte, als ich neben ihr sass und über Schönheit und gleichzeitiger Misere meines Lebens nachdachte. Dieses wohltuende Gefühl, das ich schon nach wenigen Tagen seit der Begegnung spürte, diese kristalline Klarheit im Wahrnehmen der heilenden Kraft die uns umgab. Ich kann es nicht anders ausdrücken: Dieses nicht erklärbare Gefühl, einen Seelen-Verwandten gefunden zu haben. Mehr als das: Das seelische Gegenstück des eigenen Selbst. Das Gegenüber in einem dualen System. Das mich Vervollständigende. Nein... Das mir selbst mich zu vervollständigen Ermöglichende. Mit einer der Gründe, weshalb man irgendwie schon immer gewusst hat, es würde alles gut kommen. Das eine Puzzle-Teil, das eine kleine Teil, das so viel mehr als die Summe der verschiedenen Teile ergeben wird, die hier zusammen fanden. Die initiale Zündung des Rest eines Lebens.
Ich sehne mich nach der Jungen Dame. Und danach, in ihren Armen weinen zu dürfen. Der Kopf auf ihrer Schulter. Oder auf ihrem Schenkel. Oder dem Bauch. Um danach in ihre Augen zu versinken, um dann mit ihr lächeln zu können. Um endlich zusammen zu lachen. Um zu lachen und "Halleluja Baby" zu singen.